DIE GRÖSSTE ILLUMINIERTE HANDSCHRIFT DER KUNSTGESCHICHTE ZUSAMMEN MIT DER GENEALOGIE DER KÖNIGSHÄUSER EUROPAS
Der sizilianische Dichter Guido delle Colonne (1210-1287) schrieb unter anderem auf Latein “Die Geschichte der Zerstörung Trojas des Großen” aus Dares Phrygian und dem letzten Kapitel von Dictis Cretense. Sie beginnt mit der Legende von Jason und den Argonauten und endet mit der Rückkehr der griechischen Helden nach der Zerstörung Trojas und dem Tod von Odysseus. Im 15. Jahrhundert wurde das Werk von Colonne von einem anonymen Autor ins Französische übersetzt, und das Ergebnis war dieses spektakuläre Manuskript. So sehen wir zu Beginn Jason und Medea (f. 1v), Priamos, König von Troja (f. 7r), den Schiffbruch von Antenor (f. 8v), Paris und Helena (f. 11r), Kastor und Pollux (f. 13r), Achilles und Patroklos in Delphi (f. 14r), Herkules, Ajax, Odysseus, Hektor, Menelaos, Agamemnon usw. Der Tod von Achilles, der in der Ilias nicht vorkommt (f. 33v), ist ein Beispiel dafür, dass dieses Manuskript anderen Traditionen folgt als der homerischen.
Dieses Manuskript wurde für Aymar de Poitiers verfasst und nach seinem Tod (1510) von seinen Erben aufbewahrt. Es ging in den Besitz von Pierre Séguier über, doch seine Erben schenkten es der Abtei Saint-Germaindes-Prés, aus der es während der Französischen Revolution zusammen mit anderen Codices gestohlen wurde.
Die Spur von Jean Colombe verliert sich nicht, denn nach seinem Tod (1493) entstehen in der Werkstatt weiterhin umfangreiche historische Handschriften, die von seinem Sohn Philibert und seinem Enkel François illuminiert werden, die den Kompositionsstil, die Technik, die Farben und die Dekoration des Meisters übernehmen. Bei dieser Gelegenheit stellen die Colombes Gesichter, Landschaften, Gebäude, Schlachten, Schiffbrüche und vieles mehr dar, und zwar auf spektakuläre Art und Weise: mit ganzseitigen Gemälden, ohne Rahmen oder Ränder, die mehr als einen halben Meter lang sind, in leuchtenden Farben, mit Gold illuminiert und mit Renaissance-Motiven verziert, die für den extravaganten gotischen Stil typisch sind. Nichts dergleichen war im Mittelalter je dargestellt worden (François Avril).
In Kolchis angekommen, muss Jason das Vlies retten, das von wilden Stieren und einem Drachen bewacht wird. Er sagte Medea, dass er sie mit in sein Reich in Achaia nehmen würde, und sie bat ihn, dies vor Apollo zu schwören (f. 1v). Nachdem er dies getan hatte, gestand er ihr, wie er das Goldene Vlies erlangen konnte. Doch auf der Weiterreise landeten sie in der Nähe von Troja und wurden von König Laomedon aus ihrem Land vertrieben. Herkules, der Rache für diese Beleidigung schwor, kehrte nach Troja zurück, tötete Laomedon und zerstörte die Stadt. Priamos, der abwesend war, baute die Stadt mit neuen Mauern, Häusern und Palästen wieder auf.
IM MITTELALTER WAR SO ETWAS NOCH NIE AUFGEFÜHRT WORDEN.
François Avril Emeritierter Generalkonservator der Französischen Nationalbibliothek
Priamos beklagte sich darüber, dass die Griechen seine Schwester Hesione entführt hatten, und schickte einen Botschafter nach Griechenland, um sie ihm zurückzugeben, was sie jedoch nicht taten. Er hatte mehrere Söhne, die tapfere Krieger waren: Hektor, Paris, Deciphobus und Troilus, die die Stadt gegen jeden Angriff verteidigen konnten. Außerdem hatte er seine Verbündeten in den fernen Ländern um Hilfe gebeten, die nun eintrafen. Er war sich seiner Sache sicher und schickte als Antwort auf die Griechen Paris, der den Venustempel auf der Insel Kythera plünderte und Helena, die Frau des Menelaos, König von Sparta, entführte (f. 12r). Menelaos und sein Bruder Agamemnon, König von Mykene, versammelten alle griechischen Könige und erklärten Troja den Krieg, wo sie landeten (f. 18r).
Die Griechen hatten wegen der Tapferkeit von Hektor, der Patroklos getötet hatte, die Hauptlast zu tragen, und Achilles schwor, ihn zu töten, was er auch tat (f. 25r). Während eines Waffenstillstands zu Hektors Beerdigung verliebte sich Achilles in seine Schwester Polyxena und schwor, keinen Krieg gegen die Trojaner zu führen. Troilus, der jüngste Sohn des Priamos, war ein weiterer Stachel wie Hektor. Er tötete viele Griechen und dezimierte die Myrmidonen, Achilles’ Krieger. Achilles, der das Massaker an seinen Männern nicht ertragen konnte, zog erneut in die Schlacht, tötete Troilus (f. 31v) und Mennon, den König von Äthiopien, einen der wertvollsten Verbündeten des Priamos. Während des Waffenstillstands für Troilus’ Begräbnis stellte seine Mutter Hekuba in Absprache mit Paris Achilles durch einen Boten eine Falle. Sie teilte ihm mit, dass sie ihn im Tempel des Apollo erwarte, um über seine Heirat mit Polyxena zu sprechen. Achilles erschien selbstbewusst und unbewaffnet, und Paris, der sich im Tempel versteckt hielt, durchbohrte ihm mit einem Speer den Bauch und tötete ihn.
ILLUSTRIERT VON DER WERKSTATT VON COLOMBE, KÜNSTLER, DIE DIE SEHR REICHEN STUNDEN DES HERZOGS VON BERRY VOLLENDEN
Nachdem die Trojaner Hektor verloren hatten, standen die Griechen ohne Achilles, ihren besten Krieger, da. Sie dachten an einen Rückzug, aber das Orakel von Delphi hatte den Sieg für das zehnte Jahr des Krieges vorausgesagt, das noch nicht gekommen war. Nach Hektors Tod starb Deciphobus durch die Hand von Palamedes (f. 28v). Aber Priamos hatte noch fähige Generäle wie Antenor und Aeneas sowie die tapferen Krieger, die ihm zu Hilfe gekommen waren. Einige waren bereits in der Schlacht gefallen, wie ein furchterregender kentaurischer Bogenschütze, der durch die Hand von Diomedes gefallen war (f. 20v); aber die Königin der Amazonen, Penthesilea, die mit Hektor befreundet war, hatte bis zum Ende keine einzige Schlacht verloren. Es blieb auch Paris, Helens neuer Ehemann, der aus der Ferne mit vergifteten Pfeilen tötete.
Agamemnon schickte Menelaos auf die Suche nach Neoptolemus, dem Sohn des Achilles (auch Pyrrhus genannt), der sofort die Waffen seines Vaters und dessen Myrmidonenheer übernahm. Agamemnon schlug ihn zum Ritter und Ajax setzte ihm die goldenen Sporen auf. Von nun an begann er, Trojaner zu töten, und wurde nur von Penthesilea besiegt.
Paris schoss einen vergifteten Pfeil auf Ajax, der ihn in den Bauch traf. Im Glauben, dass er nur noch wenige Augenblicke zu leben hatte, stürzte er sich im vollen Galopp auf ihn und schlitzte ihm mit seinem Schwert den Kopf auf (f. 35r). Penthesilea stellte sich Pyrrhus entgegen und verwundete ihn mit ihrem Speer in der Brust; aber die Griechen blockierten ihre Amazonen und die Myrmidonen umzingelten sie, so dass sie bewegungsunfähig war. Pyrrhus näherte sich ihr, hieb ihr den Arm an der Schulter ab und tötete sie auf der Stelle (f. 38r). Nach dem Brand von Troja kehrten sie nach Griechenland zurück.
